Interview: PMDS im Arbeitskontext

mit Dr. Almut Dorn, Psychologische Psychotherapeutin

Im Zuge meiner Arbeit erlebe ich es häufig, dass die prämenstruelle dysphorische Störung (PMDS), die leider oft als schweres PMS abgetan wird, in der Arbeitswelt mit einem doppelten Tabu belegt ist - denn hier treffen psychische und menstruelle Gesundheit aufeinander. Umso wichtiger ist es, über die Erkrankung aufzuklären und denen, die unter den Folgen leiden, Hilfestellung anzubieten. Ich freue mich sehr, dass Frau Dr. Almut Dorn, die als Expertin auf dem Gebiet der PMDS seit Jahren forscht und arbeitet, sich zu einem Interview bereit erklärt hat.

 

Vielen Dank, Frau Dr. Dorn, dass Sie sich die Zeit nehmen, uns einen Einblick in Ihre Arbeit und Forschung zu geben. Sie arbeiten als psychologische Psychotherapeutin in einer eigenen Praxis für Gynäkologische Psychosomatik in Hamburg. Möchten Sie kurz erläutern, wie Sie zu diesem Fachbereich und zum Thema PMDS gekommen sind?

Schon seit Beginn meiner Berufstätigkeit habe ich in fachübergreifenden Teams gearbeitet, was ich immer als große Bereicherung angesehen habe. Vor allem meine zehnjährige Tätigkeit in der Gynäkologischen Psychosomatik an der Universitätsfrauenklinik Bonn unter psychiatrischer Leitung von Frau Professor Anke Rohde im engen Austausch und Kontakt mit allen Disziplinen der Frauenheilkunde hat mich geprägt. Auch als ich dann aus privaten Gründen nach Hamburg gekommen bin, blieben das meine Themen. Insofern war es nur folgerichtig, dass ich vor 12 Jahren meine psychologische Praxis auf das Thema „Gynäkologische Psychosomatik“ ausgerichtet habe. Dazu gehören alle Problembereiche, die Frauen speziell treffen, u.a. eben auch im Zusammenhang mit hormonellen Veränderungen.

Dr. Almut Dorn, Psychologin und Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Hamburg, © Almut Dorn

Welche Veränderungen haben Sie in den letzten Jahren im Diskurs über die PMDS festgestellt?

In den letzten Jahren ist das Thema in den Medien immer präsenter, was sicher auch damit zu tun hat, dass spezielle psychische Probleme bei Frauen – wie etwa Depressionen rund um die Geburt, in den Wechseljahren oder eben auch zyklusabhängig - vermehrt wahrgenommen werden und auch in der Forschung eine wichtige Rolle spielen. Auch in Fortbildungen für FrauenärztInnen spielen sie zunehmend eine Rolle. In der Gynäkologischen Psychosomatik in Bonn haben wir uns schon seit der Jahrtausendwende mit dem Thema beschäftigt, damals auch das Zyklustagebuch entwickelt, dass wir heute noch einsetzen. Durch die Spezialisierung meiner psychotherapeutischen Praxis und vielfältige Fortbildungsseminare steht für mich natürlich das Thema ganz oben. Vor allem auch dadurch, dass Frauen selbst immer mehr recherchieren und Lösungen für Ihre Problematik einfordern.

PMDS erfährt im deutschsprachigen Raum derzeit noch weniger Beachtung als beispielsweise in den USA. Woran liegt das?

Das größte Problem bei der PMDS ist zurzeit noch, dass in unserem gängigen Klassifikationssystemen für Erkrankungen (ICD-10, Internationale Klassifikation von Erkrankungen) keine Kriterien enthalten sind – anders als in dem amerikanischen Klassifikationssystem DSM. Das hat sich mit der ICD-11 geändert, diese liegt allerdings noch nicht in der deutschen Übersetzung vor. Es wird also noch ein paar Jahre dauern, bis die Kriterien für eine PMDS überall bekannt sind und dann auch die Behandlung entsprechend erfolgen kann.

 

Was ändert sich mit der Einführung der ICD-11 in Deutschland?

Die wichtigste Änderung ist, dass überhaupt Kriterien enthalten sein werden und damit das Störungsbild als Erkrankung anerkannt ist, also auch behandelt werden kann. Es wird dazu führen, dass die Diagnose in der Ausbildung von Ärzten/Ärztinnen und PsychotherapeutInnen vorkommt und sich damit deutlich mehr beschäftigt wird. Ein Beitrag zur Entstigmatisierung wird übrigens sein, dass die PMDS-Kriterien im gynäkologischen Teil angesiedelt sind. Das macht unter Umständen die Behandlung mit Antidepressiva schwieriger, zeigt aber gleichzeitig, dass es keine psychische Störung im engeren Sinne ist.

  

Gemeinsam mit Ihren Kolleginnen, der Gynäkologin Dr. Anneliese Schwenkhagen und der Psychiaterin und Psychotherapeutin Prof. Dr. Anke Rohde, veröffentlichen Sie in diesem Jahr den Ratgeber “PMDS als Herausforderung". Ich habe bereits durch die Leseprobe* einen Einblick in das Buch erhalten und bin begeistert von der vielseitigen Beleuchtung des Themas. Mit welchem Ziel haben Sie diesen Ratgeber geschrieben und an wen richtet er sich?

In verschiedenen Zusammenhängen haben wir in den letzten Jahren über das Thema PMDS geschrieben, was dazu geführt hat, dass uns immer wieder Frauen kontaktierten, die wegen ihrer PMDS-Symptomatik einen hohen Leidensdruck hatten und nach Hilfe suchten. Für sie war von Bedeutung, dass das ganze überhaupt erst einmal einen Namen hatte. Wir haben im Kontakt mit diesen Frauen erkannt, wie wichtig die Informationsvermittlung ist. Gleichzeitig ist uns – nicht nur in diesem Zusammenhang – wichtig, dass Frauen – natürlich trifft das auch auf Männer zu – mit ihren Problemen so umgehen können, dass sie sich nicht ausgeliefert fühlen, sondern im Gegenteil das Gefühl haben, dass sie selbst etwas tun können, dass sie die Kontrolle zurückerlangen.

 

Was ist die Hauptbotschaft, die Sie den LeserInnen mit diesem Buch vermitteln möchten?

In diesem von Ihnen angesprochenen Ratgeber gibt es ja eine Reihe von Erfahrungsberichten von betroffenen Frauen, die zeigen welche dramatischen Auswirkungen die Problematik auf die Familie und die Partnerschaft haben kann und wie verzweifelt die Frauen zum Teil nach Hilfe gesucht haben. Diesen Frauen möchten wir mögliche Wege aufzeigen.

Unser Ziel ist die autonome Patientin, die selbst zur Expertin für Ihre Problematik wird und sich dann aus den vielen Möglichkeiten der Behandlung und des Umgehens mit der Problematik das für sie richtige heraussucht. Nach unserer Erfahrung machen das die Frauen übrigens sehr verantwortungsvoll. Das kann beispielsweise auch bedeuten, dass sie wohl informiert mit ausgefüllten Zyklustagebuch zu Ihrer Frauenärztin oder zu ihrem Hausarzt geht und eine entsprechende Behandlung einfordert.

 

Welche Rolle spielen Selbsthilfestrategien Ihrer Meinung nach bei der Behandlung von PMDS?

Die Selbsthilfestrategien in unserem Ratgeber haben wir von bewährten psychotherapeutischen Strategien abgeleitet. Mit entsprechenden Anwendungsbeispielen verdeutlichen wir, wie man das selbst einsetzen kann. Auch das trägt bei Betroffenen zu dem Gefühl bei, ich kann etwas tun, ich kann mich vor bestimmten Situationen schützen, die alles noch verschlimmern, ich kann mich den Symptomen stellen und mit ihnen umgehen. Das ist in der Regel kein Ersatz für die hormonelle oder antidepressive Behandlung bei schweren PMDS-Formen, aber es unterstützt die Behandlung und trägt zum Gefühl der Selbstbestimmung bei.

 

Wie schätzen Sie die Auswirkungen von PMDS-Symptomen auf die Arbeit ein? Was können ArbeitgeberInnen und KollegInnen tun, um Frauen mit PMDS zu unterstützen?

Zu den PMDS-Kriterien gehört auch, dass die Symptomatik Auswirkungen auf die Beziehung mit anderen Menschen hat oder auch zu Problemen in Schule und Beruf führt. Und das ist tatsächlich das, was uns Frauen berichten – allerdings scheint es so zu sein, dass sie sich am Arbeitsplatz immer noch besser „zusammenreißen“ können als das dann in der Familie der Fall ist. Natürlich ist es schwer für Kollegen am Arbeitsplatz, eine prämenstruell reizbare und empfindliche Frau zu unterstützen, zumal gerade in der männlichen Welt immer noch ein wenig auf Stammtischniveau argumentiert wird. Besser wird das sicher dann, wenn es noch mehr öffentliche Diskussion über das Thema gibt, sodass eine Frau nicht geringgeschätzt wird, wenn sie sich mit ihrer PMDS-Problematik outet. Entlastung, Rückzugsmöglichkeiten und auch „stillschweigendes“ Verständnis helfen da am ehesten.

 

Inwieweit kann das persönliche Umfeld Hilfestellung leisten?

In den Erfahrungsberichten Betroffener, die im Ratgeber enthalten sind, wird zum Teil sehr eindrucksvoll beschrieben, welche dramatischen Auswirkungen die manchmal nicht zu kontrollierende Wut und Reizbarkeit oder auch die depressive Symptomatik auf die ganze Familie haben kann. Frauen zeigen prämenstruell Verhaltensweisen, wie sie die sonst inakzeptabel finden – z.B. ihre Kinder anzuschreien, Türen zu knallen oder im Extremfall den Partner tätlich anzugreifen. Der Partner kann einiges tun, deshalb ist das Gespräch über die Problematik auch so wichtig; und auch Kindern kann man es altersgerecht erklären.

Unsere Erfahrung ist übrigens, dass es manchmal der Partner gewesen ist, der eine betroffene Frau auf die PMDS-Problematik aufmerksam gemacht hat. Und in der Behandlung und der dann einkehrenden „Ruhe“ liegt die Chance, gemeinsam nach Entlastungsmöglichkeiten oder auch gemeinsamen Umgehensweisen zu suchen. Auch für den Partner gilt: In der Akutsituation keine Diskussion darüber, das macht alles nur noch schlimmer.

 

Zum Schluss noch eine Frage, die sicher viele interessiert: Was ist nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft der Auslöser für PMDS?

Es ist wohl ein Zusammenspiel der hormonellen Zyklusschwankungen mit einer bestimmten Empfänglichkeit für psychische Probleme im Gehirn. Aber da ist noch viel Forschung nötig. Auf jeden Fall kann man sowohl über die Verminderung der hormonellen Schwankungen im Zyklus durch die Pille (vor allem im Langzyklus), aber auch durch die Gabe bestimmter Antidepressiva eine Besserung herbeiführen. Gerade die Antidepressiva vom SSRI-Typ sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bei PMDS sehr gut untersucht und insgesamt gut verträglich. Wichtig übrigens: Sie machen nicht abhängig, und sie verändern auch nicht die Persönlichkeit.

 

*Ratgeber und Leseprobe sind hier verfügbar: https://shop.kohlhammer.de/pmds-als-herausforderung-40259.html#147=19