Interview zum Thema Zyklus & Nachhaltigkeit


In diesem Interview spreche ich mit Ann-Christin Neuenstein, die als Beraterin für Nachhaltigkeit tätig ist, darüber, warum Nachhaltigkeit für Unternehmen eine Rolle spielt, was das Ganze mit Zyklusbewusstsein zu tun hat und wie die ersten Schritte in ein nachhaltigeres (Arbeits-)Leben gelingen.


Hallo Ann-Christin, danke, dass du dir die Zeit hierfür nimmst. Um dich kurz vorzustellen, du bist selbstständig, arbeitest als Beraterin für Nachhaltigkeit und bist auf LinkedIn und Instagram sehr aktiv. Kannst du kurz erklären, wie du zu deinem Beruf gekommen bist und worum es bei nachhaltiger Beratung geht?

In meinen Corporate-Jobs habe ich immer auch versucht, das gesamte System zu begreifen und zu überblicken. Zu schauen, welche Menschen welche Bedürfnisse haben und wie ich unterstützen kann, die damit zusammenhängenden Veränderungen umsetzen zu können. Ich selbst habe da viele Erfahrungen gemacht, dass ein Unternehmenssystem nicht immer automatisch bereit für Systemverstehende ist. Und genau da möchte ich als nachhaltige Beraterin ansetzen: andere Menschen und Systeme nachhaltig dazu befähigen, Ziele zu erreichen und dabei vor allem zufrieden zu sein, weil ein Unternehmenssystem mich als Mitarbeitende/r sieht und wertschätzt. 

Genau da kommt dann auch eben mein Verständnis von nachhaltiger Beratung zum Einsatz: in allen 3 Säulen der Nachhaltigkeit (ökologisch, ökonomisch und sozial) aktiv zu sein und die Bereiche miteinander zu verknüpfen. Mein Fokus liegt da eindeutig auf dem Menschen, also auf der sozialen Säule von Nachhaltigkeit. Ich bin der festen Überzeugung, dass zufriedene Mitarbeitende auch den Erfolg von Unternehmen bestimmen und noch viel wichtiger: die Zufriedenheit in ihrem Leben.

Ann-Christin Neuenstein

© Ann-Christin Neuenstein (2021)

Warum ist es für Unternehmen förderlich, auf Nachhaltigkeit zu achten? Kannst du ein konkretes Beispiel nennen?

Nachhaltig zu agieren ist für den Unternehmenserfolg enorm wichtig. Die Unternehmenswerte nicht nur als PR-Sparte zu sehen, sondern sie auch wirklich zu leben, macht den Unterschied. Damit identifizieren sich Mitarbeitende. Im besten Fall sind sie sogar die Treiber für die Unternehmenswerte. 

Wenn ich von mir persönlich ausgehe, weiß ich, dass ich immer dann besonders motiviert war, wenn ich gesehen und wertgeschätzt wurde. Und eben auch, wenn ich mit meiner Arbeit was zur positiven Veränderung beisteuern konnte. Für viele Unternehmen ist die soziale Ebene von Nachhaltigkeit nicht so präsent wie die ökologische. Aber genau da liegt der Fehler. Beides muss Hand in Hand gehen, um den Herausforderungen der aktuellen Zeit bestehen zu können.

Wir sprechen seit ca. einem Jahr regelmäßig darüber, wie unsere Arbeit, unser Wohlbefinden und unser Menstruationszyklus zusammenhängen und ich durfte Zeugin davon sein, wie du deine Arbeit mehr und mehr nach deinen Zyklusphasen ausrichtest.

 

Wie hast du den Einstieg in das Thema Zyklusbewusstsein wahrgenommen und wie versuchst du dieses Bewusstsein in dein (Arbeits-)Leben einzubauen?

Ich glaube, da kamen ganz verschiedene und vielschichtige Learnings für mich zusammen. Zum Einen die Persönlichkeitsentwicklung, die ich in Form von Coaching nunmehr seit ziemlich genau 3 Jahren für mich nutze, und dadurch dem Verständnis, meinem Bauchgefühl oder manche mögen es Intuition nennen, zu vertrauen. Den Kopf bei der Konzepterstellung und dem Weg zur Umsetzung zu nutzen, aber das Wesentliche eben nicht zu zerdenken und auf das eigene Gefühl zu hören. Und genau da kam das Thema Zyklusbewusstsein ins Spiel. Wenn wir Frauen anfangen auf unsere innere Stimme (Intuition) zu hören, dann werden viele Dinge im Leben deutlich leichter und einfacher. Dazu gehört eben auch, dass der weibliche Körper an einem durchschnittlich 28-Tage-Rhythmus ausgerichtet ist. Das bedeutet, dass wir weiblich gelesenen Personen nicht von ihm verlangen können, dass er jeden Tag gleich performed. Also habe ich angefangen, genau in mich hineinzuhorchen und mit deinem Fachwissen zu dem gesamten Thema Zyklusbewusstsein abzugleichen bzw. zu lernen. Dadurch, dass es ja verschiedene Phasen gibt*, bin ich nicht in jeder Zyklusphase kreativ oder einfallsreich oder stelle mich vor Publikum und halte eine Rede. Daher habe ich genau geschaut, wann welche Themen für mich innerhalb dieses Monats umsetzbar sind. Entsprechend habe ich angefangen, meine Termine nach meinem eigenen Rhythmus zu planen.

*Anm. d. Red.: Follikelphase, Ovulation, Lutealphase, Menstruation

Ein Teil deiner Arbeit ist es, ein Bewusstsein für Weiblichkeit zu schaffen, vor allem auch bei der Arbeit. Dazu gehört natürlich auch der Menstruationszyklus. Was hat Zyklusbewusstsein deiner Meinung nach mit Nachhaltigkeit zu tun?

Sehr viel, da wir einen natürlichen Rhythmus haben, den wir nicht einfach ändern können und sollten. Nachhaltig ist es deshalb, weil es eine sehr wirksame Form der eigenen Selbstachtung ist. Ich kümmere mich um meine eigenen natürlichen Kraftressourcen und sehe zu, dass diese nur so viel aufgebraucht werden, wie ich eben auch in der unterschiedlichen Phase zur Verfügung stehen habe. So sagt es die Definition von Nachhaltigkeit eben auch: nur so viel an Ressourcen zu verbrauchen, wie zur Verfügung steht.

Du hast lange in der männerdominierten Logistikbranche gearbeitet. Hast du dort jemals über deinen Zyklus oder deine Periode gesprochen? Wenn ja, wie kam das bei deinem Gegenüber an?

Ja, habe ich. Ich erinnere mich noch an ein konkretes Beispiel, wo ich recht emotional war und meinem damaligen fachlichen Vorgesetzten (Ende 30) gesagt hatte, dass ich eben gerade meine Periode hätte und dass diese emotionalen “Ausbrüche” daher kommen könnten. Er kenne das ja sicher von seiner Frau.

In der Regel wurde dann zwar durchaus mit Verständnis, aber eben auch mit betretenem Schweigen reagiert, was ich nie so richtig nachvollziehen konnte, denn die meisten Männer waren verheiratet oder führten eine Beziehung mit einer Frau. Mich hat es damals schon wahnsinnig gemacht, dass es bei der Arbeit so ein großes Tabu zu sein hat, obwohl die Periode und der Zyklus das natürlichste auf der Welt sind und eben auch Männer sich damit beschätigen sollten.

Sich intensiv mit dem eigenen Körper und den eigenen Bedürfnissen zu beschäftigen kann sich positiv auf viele Aspekte des beruflichen und privaten Lebens auswirken. Wie wirkt es sich deiner Meinung nach auf die Persönlichkeitsentwicklung aus? 

Wenn wir auf unseren Körper und unsere Bedürfnisse hören, dann hat das viel mit eigener Reife zu tun, also mit dem eigenen Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und der eigenen Selbstachtsamkeit. Ein Mensch, der nach diesen Bedürfnissen sein Leben gestaltet, ist automatisch viel freier und selbstbewusster. Dieser Mensch weiß genau, was sich gut anfühlt und bekommt die Bestätigung vom eigenen Körper. Das macht ihn resilient und durchsetzungsstark gegenüber Menschen, die diesen Bezug zum eigenen Körper verloren haben. Nach den eigenen Bedürfnissen zu leben hat also einen großen Einfluss auf die eigene Persönlichkeit und macht selbstbewusst.

Du bist leidenschaftliche Verfechterin einer veganen Lebensweise. Wie wirkt sich das auf deinen Zyklus und dein Wohlbefinden aus?

Das ist eine spannende Frage, über die ich noch gar nicht so bewusst nachgedacht habe. Grundsätzlich ist die vegane Ernährungsweise einfach toll, weil ich mich nie schwerfällig fühle. Das allgemeine Wohlbefinden ist einfach deutlich angenehmer, weil das Füllegefühl nach Mahlzeiten nicht vorhanden ist und eben die Verdauung deutlich angenehmer stattfindet. 

Für meinen Zyklus schaue ich, dass ich in der Phase meiner Periode gehaltvolle, warme Mahlzeiten zu mir nehme, die mit Kohlenhydraten wie beispielsweise Reis oder Kartoffeln, gepaart sind. In dieser Zeit braucht mein Körper einfach viel Energie, die ich ihm gerne geben möchte. Durch meine vegane Lebensweise habe ich mich erst so richtig angefangen damit zu beschäftigen, wie eine gesunde und gehaltvolle Ernährung aussehen sollte.

Hast du zum Schluss noch irgendwelche Tipps, für diejenigen, die sich noch nicht an das Thema Nachhaltigkeit herantrauen?

Da kann ich empfehlen, sich nicht so viel von diesem großen Begriff der Nachhaltigkeit einschüchtern zu lassen. Klein anfangen und Erfolge feiern. Wir erinnern uns: Nachhaltig ist, nur so viel zu entnehmen, wie nachwachsen kann. Vielleicht einfach damit anfangen, sich wieder mehr auf die eigenen Bedürfnisse zu besinnen. Konkret: Wie viel Energie habe ich täglich zur Verfügung und wie viel kann ich aus meinem System herausgeben? Ich würde mal anfangen zu hinterfragen, wie der eigene Alltag aussieht: Gibt das, was ich tue, mir Kraft oder entzieht es mir mehr als ich wünschte?

Neue Routinen einbauen: bewusst einen Tee oder einen Kaffee zubereiten, bewusst einem Lied und dem Text zuhören, mir Zeit nehmen zu duschen oder beim Zähne putzen die Gedanken schweifen zu lassen statt an die To-Do-Liste zu denken. Immer wieder kleine 5-Minuten-Pausen fürs Gehirn im Alltag einbauen, um wieder zu erlernen die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und nach ihnen zu leben.

Und zum Thema Weiblichkeit, was empfiehlst du dazu?

Natürlich meinem neuen Account Femstainability auf Instagram folgen, der sich genau mit diesem Thema auseinandersetzt.

Grundsätzlich den eigenen Bedürfnissen Raum geben bzw. schaffen. Nein zu sagen, wenn sich etwas nicht gut anfühlt und somit Prioritäten im eigenen Leben setzen. Für Menstruierende ganz konkret: hormonelle Verhütungsmethoden vermeiden, wenn keine medizinische Notwendigkeit vorliegt (Achtung, ich bin keine Ärztin – also im Zweifel mit der Frauenärztin/ dem Frauenarzt besprechen), sich eine Zyklus-App herunterladen, den eigenen Körper in den verschiedenen Phasen beobachten, essen, wonach er verlangt, sich Unterstützung holen. 

Das kann sein, in dem ich ein Buch über Weiblichkeit, den weiblichen Zyklus oder Bedürfnisse lese oder mich mit einer Freundin austausche oder eben einen Workshop mache, mich mit anderen Menschen verbinde und austausche, ein Coaching in Anspruch nehme. Da gibt es ganz viele Methoden und Möglichkeiten. Am besten ist es, sich den eigenen bunten Blumenstrauß daraus zu pflücken.

Danke für diese spannenden und wertvollen Einblicke in deine Arbeit, liebe Ann-Christin.